Den Körper bei der Selbstheilung unterstützen. Wie funktioniert das eigentlich? Teil 1

ganzheitliche medizin teil 1
(c) Christine Brameshuber

„You can’t stop the waves, but you can learn to surf.“
Jon Kabat-Zinn

Auf dem Weg zu einer ganzheitlichen Medizin – von „Hokus Pokus“ zu fundiertem Wissen

Ich möchte ganz am Anfang darauf hinweisen, dass es mehr und mehr engagierte Wissenschaftler_innen gibt, die an wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen arbeiten, wie / warum / wodurch Körper (sich selber) heilen können.
Personen, auf die ich hier gestoßen bin, sind zum Beispiel Lissa Rankin mit ihrem Buch „mind over medicine“ sowie die Arbeit von Kelly Turner mit ihrem Buch „radical remission“ und vor allem Jon Kabat-Zinn und seine MBSR Methode sowie Bruce Lipton mit seinem Buch „intelligente Zellen“. Dies sind jedoch nur einige Menschen von vielen, die sich mit ganzheitlicher Medizin aus wissenschaftlicher Perspektive beschäftigen.

Es gibt immer mehr Ärzt_innen, die mit wissenschaftlichen Forschungen ergründen und begründen wollen, ob/wie/warum komplementär-medizinische Methoden wirksam sind und wie eine ganzheitliche Medizin aussehen könnte. Immer mehr finden wir heraus, dass es sich bei verschiedenen Heilungsmethoden, Meditation, Yoga, Reiki, traditionelle chinesische Medizin, Berührungen / Körperarbeit oder was es auch sei, nicht um unerklärliche Wunder handelt, sondern dass nachvollziehbare körperliche Prozesse dahinterstehen.

Jon Kabat-Zinn erwähnt in seinem Buch „Gesund durch Meditation“, dass die bis heute vorherrschende westliche Weltsicht (und damit auch die Grundlage des medizinischen Weltbildes) auf René Descartes und das 17. Jahrhundert zurückgeht. Descartes unterschied in seiner Philosophie zwischen dem Körper und dem Geist und prägte somit die Trennung von Körper und Geist. Bis dahin und in vielen nicht-westlichen Gesellschaften war diese Trennung nicht so ausgeprägt oder sogar unbekannt. Die Schulmedizin mit dem wissenschaftlichen Zugang, körperliche Vorgänge zu quantifizieren, hat deswegen alternative Heilmethoden wie traditionell-chinesische Medizin, Ayurveda oder Naturheilkunde lange Zeit abgelehnt. Diese ganzheitlichen Sichtweisen haben einfach nicht in das Weltbild gepasst, auf dem die Schulmedizin gegründet und aufgebaut wurde. (vgl. Kabat-Zinn 2013: 229f.)

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Es wird viel geforscht

In der Medizin kam/kommt es jedoch immer mehr zu einem Paradigmenwechsel, indem nun der Mensch wieder in seiner Ganzheit verstanden und auch Krankheit und Gesundheit vor diesem Hintergrund betrachtet wird. In den letzten Jahren gab es dazu in drei Forschungsbereichen neue Erkenntnisse, die Erklärungen für die wechselseitigen Beeinflussungen von Körper und Geist liefern. Jon Kabat-Zinn erwähnt in diesem Zusammenhang drei Entdeckungen (vgl. ebenda: 220f.):

Neuroplastizität
Neuroplastizität verweist auf die „Formbarkeit“ unseres Gehirns. Bis vor kurzem war eine Annahme der Neurobiologie, dass das Gehirn ab dem dritten Lebensjahr keine neuen Zellen bildet und die Zahl der Nervenzellen im Gehirn kontinuierlich abnimmt. Dies wurde widerlegt und heute wird das Gehirn als lebenslang lernfähiges Organ betrachtet, das sich je nach Umwelteinfluss wandelt und anders ausprägt. Viele Wissenschaftler_innen untersuchen das Gehirn dahingehend, wie unser Bewusstsein zustande kommt und wie Geist und Körper zusammenhängen. Es gibt immer mehr Studien zu Menschen mit Meditationserfahrung, die zeigen, dass regelmäßige Achtsamkeit und Meditation zu einer veränderten Gehirnaktivität und einer anderen Ausprägung von Neuronenverbindungen führen. Einfach gesagt: Das was wir tun, so wie wir leben, speichert sich auch physisch in unserem Gehirn ab, in der Dichte und Anzahl an Nervenverbindungen. Zu einigen Forschungsergebnissen dazu werde ich in kommenden Artikeln zu Meditation noch genauer eingehen. Eine gute einführende Doku von Arte kann ich schon hier sehr empfehlen.

Epigenetik
So wie das Gehirn lange Zeit als statisch betrachtet wurde, wurde lange Zeit ein gewisser genetischer Determinismus vertreten. Es wurden Gene, also unser Erbgut, in denen alle Informationen unseres Körpers gespeichert sind, als quasi Schicksal entscheidende Gegebenheiten wahrgenommen. Wenn z. B. Gen x vorhanden ist, dann besteht eine quantifizierbare Wahrscheinlichkeit, die Krankheit x zu bekommen.
Immer mehr hat sich jedoch gezeigt, dass auch das Genom eine Formbarkeit aufweist. Es zeigt sich, dass die Umwelt /Umwelteinflüsse darauf einwirken, welche Steuerproteine aktiviert werden, die dann Gene ablesen bzw. ein/ausschalten. Gene wären demnach wie Bücher in einer Bibliothek, aber wer wie welches Buch aufschlägt, darauf nimmt die Umwelt Einfluss (vgl. Rankin 2014: 64f.). Ein Buch, das sich damit beschäftigt und mir sehr geholfen hat, ist das Buch „intelligente Zellen“ von Bruce Lipton, über das ich noch einen eigenen Artikel schreiben werde.
Die Wissenschaft der Epigenetik versucht jedenfalls mehr darüber in Erfahrung zu bringen, wie unsere Erfahrungen, unsere erlernten Verhaltensweisen, unser Lebensstil sowie Gedanken und psychische Muster Einfluss darauf haben, wie unsere Gene aktiviert werden. Ebenfalls eine Arte Doku zu Epigenetik findest du hier.

Telomere
Telomere sind Teile an den Enden von Chromosomen. Sie werden wie „Verschlusskappen“ oder die Plastikkappen von Schuhbändern verglichen. Telomere sind an der Zellteilung beteiligt und werden bei jeder Zellteilung kürzer. Sie stehen also direkt mit der Zellalterung und damit unserer Lebenserwartung in Zusammenhang. Die Forscherin Elizabeth Blackburn hat 2009 für ihre Entdeckungen sogar den Nobelpreis für Medizin bekommen. Sie konnte zeigen, dass Stress die Telomere schneller kürzer werden lässt. Im Umkehrschluss gibt es die Hypothese, dass Achtsamkeit und Meditation diesen Prozess verlangsamen, da Achtsamkeit die Fähigkeit mit Stress umzugehen erhöht (vgl. Kabat-Zinn 2013: 221). Es gibt ein ins Deutsche übersetztes Buch von ihr, welches sie zusammen mit der Forscherin, Elissa Epel schrieb. Ich habe es noch nicht gelesen, aber falls hier Interesse besteht, findest du eine Rezension hier.

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Neben diesen drei Gebieten setzt sich Jon Kabat-Zinn aber auch mit der Stressforschung (vgl. 272f.) und dem Gebiet, der Psychoneuroimmunologie auseinander. Die Psychoneuroimmunologie erforscht den Zusammenhang und wechselseitige Beeinflussung von Gehirn, Nervensystem und Immunsystem. Sie ist also eine Spezialdisziplin der Wissenschaft, die unter anderem versucht zu erklären, wie psychosoziale Faktoren unsere physiologische-biologische Ebene bzw. das Immunsystem beeinflussen, und wie Heilungsprozesse im Körper ablaufen (vgl. ebenda: 212).

Eine Forschungsfrage in dieser Disziplin wäre zum Beispiel die Frage wie der Placebo-Effekt funktioniert. Ein Buch, dass mir auf meinem Weg durch die Krebsbehandlung und in der Aufbauphase danach sehr geholfen hat, war das Buch „Mind over medicine“ von der US-amerikanischen Ärztin Lissa Rankin. Sie widmet in ihrem Buch ein ganzes Kapitel über den Placebo-Effekt und zeigt, dass der Glauben an eine heilsame Wirkung allein auch zu physiologischen Reaktionen im Körper führt (vgl. Rankin 2014: 34f.). Ein weiterer Aspekt den Lissa Rankin behandelt, ist die Beziehung zwischen Ärzt_innen / Therapeut_innen und ihren Patient_innen. Sie verweist auf Forschung, die zeigt, dass die Aufmerksamkeit und wertschätzende Zuwendung – bzw. „Rituale des Heilens“ ein wesentlicher Faktor für die Aktivierung von Selbstheilungskräften und stark am Placeboeffekt beteiligt sind (vgl. ebenda: 81f.). Sie bezieht sich dabei auf die Forschungen von Ted Kaptchuk, von dem es auch einen tollen Tedx Vortrag (auf Englisch) dazu gibt.

Das eigene Verständnis von Gesundheit und Heilung erweitern

Viele dieser neuen Forschungen zeigen auch, wie Stress in Verbindung mit Gesundheit und Immunität steht. Für mein Verständnis von komplementärer Medizin, Yoga oder Meditation und auch für mich als Krebs überlebenden, war es sehr hilfreich, mehr über einen grundlegenden Mechanismus im Körper zu erfahren, und zwar über die Stress- und Entspannungsreaktion. Schon lange wissen wir, dass das Verständnis einer Krankheit bzw. das Wissen über eine Erkrankung Patient_innen einen besseren Umgang damit ermöglicht. Das wird auch Psychoedukation genannt.

Deswegen möchte ich im zweiten Teil dieses Artikels, näher auf diese Stress- und Entspannungsreaktion eingehen. Dieses Verständnis war sehr hilfreich für mich, auch rational mehr zu verstehen, dass das was ich getan habe und tue um gesund zubleiben, sinnvoll ist und auch von Ärzt_innen anerkannt und wertgeschätzt wird. Ich finde es für mich einfach sehr einleuchtend und motivierend konsequent meine Meditations- und Selbstfürsorgepraxis weiterzuverfolgen. Stress ist natürlich nicht der einzige Faktor, der bei Erkrankungen beteiligt ist. Bei verschiedenen Krankheitsbildern sind immer komplexe Mechanismen am Werk und es kommen viele Faktoren zusammen. Trotzdem finde ich das Verständnis davon elementar! Mehr erfährst du also bald im zweiten Teil dieses Beitrags!

Ressourcen

Arte Dokumentation 2017: Die heilsame Kraft der Meditation

Arte Dokumentation: Epigenetik – Sind wir Gene oder Umwelt?

Kurier Artikel über Elizabeth Blackburn

Tedx Vortrag Ted Kaptchuk über den Placebo-Effekt

Rankin, Lissa Dr. med (2014): Mind over medicine. Warum Gedanken oft stärker sind als Medizin. Kösel-Verlag, München, 3. Auflage

Kabat-Zinn, Jon (2013): Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheiliung mit MBSR, Knaur Menssana, München